Keller5 – oder wie alte Fahrräder in Stuttgart-Süd ein zweites Leben bekommen

Radfahren erlebt zurzeit insbesondere in Großstädten eine wahrhafte Renaissance. Nicht nur als Sportgerät, sondern auch als zuverlässiges Alltagsverkehrsmittel erfreut sich das Rad an wachsender Beliebtheit. Seit Anfang 2018 trägt der Keller 5 als offene Fahrradwerkstatt des Freundeskreises Flüchtlinge Stuttgart Süd dazu bei, dass auch weniger begüterte Menschen wie etwa Geflüchtete daran teilhaben können. Nils Klingelhöfer unterstützt seit Ende 2019 die Arbeit in der Werkstatt. Es folgt ein persönlicher Erfahrungsbericht über den Arbeitsalltag im Keller 5, Teamwork und die Erweiterung des Horizontes eines Radfahrenden.

Letzten Winter, als mich mein Kumpel und Rad-Compagnon Sean das erste Mal in den Keller 5 einlud, war ich ein wenig nervös. Er hatte mir schon einige Male von seinem Engagement dort erzählt. Obwohl ich durch seine Erzählungen vom Konzept begeistert war, war ich unsicher, ob ich seine Einladung gleich vorbehaltlos annehmen sollte: Reichten meine Schrauber-Erfahrungen aus, um alle Arten von Rädern reparieren zu können? Würde es zu Verständigungsproblemen mit Geflüchteten kommen? Wie läuft der Kontakt mit den »Kunden« überhaupt ab? Nach den ersten Minuten in der Werkstatt war klar, dass die Fragen und Ängste völlig unbegründet waren! Doch bevor ich weiter von meinen ersten Erfahrungen im Keller 5 erzähle, ein paar allgemeine Informationen zum Ablauf in der Werkstatt:

Das Konzept:

Die Tür des Keller 5 steht für alle offen: Vom Studierenden, über Berufstätige, Geflüchtete, bis hin zu Rentner*innen– jeder ist willkommen. Die Werkstatt öffnet dienstags und donnerstags ab 18.30 Uhr für jeden, der ein gebrauchtes Rad erstehen möchte oder Reparaturen an seinem Rad zu erledigen hat, jedoch nicht über ausreichend Platz verfügt oder das passende Werkzeug besitzt. Handwerklich begabte Schrauber*innen können die notwendigen Reparaturen an ihren eigenen Rädern gleich selbst vor Ort erledigen und dabei auf das umfangreiche Werkzeugsortiment des Keller 5 zugreifen. Für handwerklich weniger versierte Werkstattbesuchende übernimmt das Mechaniker-Team die Reparatur. Standard-Ersatzteile können gegen Spende ebenfalls gleich vor Ort erworben werden. Der Verkauf und die Reparatur der Räder erfolgen auf Spendenbasis – jeder gibt so viel er sich leisten kann. Aus den Spenden wird wiederum der Erwerb neuer Ersatzteile finanziert oder erforderliches Werkzeug angeschafft. Im »Tagesgeschäft« kümmert sich das Team um gespendete, reparaturbedürftige Fahrräder und richtet diese für ein zweites Fahrrad-Leben wieder her.

Neue Kolleg*innen

Als ich die Werkstatt das erste Mal betrat, kam mir ein freundlicher Mann entgegen und begrüßte mich mit den Worten: »Hi, ich bin Reinhard, cool, dass du dabei bist! Schau doch mal in unserem Radlager und schnapp dir ein Rad, das wieder flottgemacht werden muss.« – Toll, schon war ich ein Teammitglied. Ich staunte nicht schlecht, als ich den Bestand an Rädern sah und hatte auch gleich ein Modell entdeckt, welchem ich mich widmen wollte. Nachdem ich das Rad in den Montageständer eingespannt und eine erste Sichtung vorgenommen hatte, stand ich bereits vor der ersten Herausforderung: Eine derartige Gangschaltung war mir bis dahin noch nie untergekommen. Ein verblasst-weißer »TORPEDO«-Schriftzug auf einem in die Jahre gekommenen Plastik-Hebel machte mir klar, dass es sich bei dieser Technik Anfang der 1970er Jahre um begehrte Mechanik gehandelt haben musste – mir jedoch völlig fremd war. Ich dachte: „Oh, vintage!“ und probierte mich mit Inbus- und Torx-Schraubenschlüsseln daran aus, erkannte jedoch schnell, dass im Zweifel Rohrzange und Hammer hier die geeigneteren Werkzeuge waren.

Der erste Kundenkontakt

Nachdem die Schaltung wieder funktionierte, Bremsbeläge gewechselt und auf Funktion überprüft und die Reifen geflickt waren, kam ein junger Mann aus Syrien herein, der sich für ein Rad interessierte. »Hi, ich bin Malek und hätte gerne ein neues Stadtrad! Wow, was hast du da für eins? Kann ich das mal Probe fahren?« Mein vorhin fertig gestelltes Projekt schien Malek zu gefallen. Toll, dass das generalüberholte Rad gleich einen neuen Liebhaber gefunden hatte. Wir trugen das Rad gemeinsam vor die Tür, ich stellte den Sattel ein und Malek fing an, hochzufrieden eine nach der anderen Runde auf dem Hof vor der Werkstatt zu drehen. Das Rad stand ihm sehr gut, die Größe sah ebenfalls passend aus und nachdem wir das »geschäftliche geregelt hatten«, entschied er sich schnell für das gefahrene Modell. Letztens hat er nochmal vorbeigeschaut und wir haben gemeinsam eine Inspektion durchgeführt, ob nach wie vor alles festsitzt und die Reifen genug Luft enthalten. Malek hat sich von Herzen für unseren Service bedankt. Der Kontakt mit Malek und die Arbeit im Keller 5 hat mir, als Kind einer begeisterten Radfahrerfamilie, bewusst gemacht, dass es beim Radfahren nicht um den leichtesten Rahmen, die präziseste Gangschaltung oder die schnellsten Laufräder ankommt. Es geht vielmehr um ein herzliches Miteinander und eine gute gemeinsame Zeit. Beeindruckend, wie schnell ein in die Jahre gekommenes Fahrrad als gemeinsamer Nenner Menschen mit völlig unterschiedlichen Geschichten, Kulturen und Sprachen verbinden kann. »Nothing compares to the simple pleasure of riding a bike«- hat John F. Kennedy mal gesagt – ganz gleich ob fabrikneues Mountainbike oder 30 Jahre altes Damenrad. Es ist ein schönes Gefühl, Menschen (wieder) mobil zu machen und deren Freude am Radfahren spüren zu können.

Gastbeitrag von Nils Klingelhöfer.
fahrradwerkstatt@freundeskreis-süd.de
fkreissued.wordpress.com/keller-5-die-offene-fahrradwerkstatt/