Kaum geht es in Stuttgart um Straßenraum, der anders genutzt werden soll als für Autoverkehr, dann ist die Hölle los, insbesondere wenn dabei Parkplätze wegfallen sollen. Sei es bei Radwegen, bei Außengastronomie oder bei Begrünung – sofort bringen sich scheinbar unversöhnliche Lager in Stellung, von der Politik bis zu den Socialmedia, und man hat mit den immer gleichen Argumenten zu kämpfen. Wer liegt nun richtig? Am Ende wird nicht Einseitigkeit und Egoismus die Lösung sein, sondern wir werden uns auf eine vielseitige und gesellschaftlich sinnvolle Mobilität und Raumnutzung einigen müssen.
Über was diskutieren wir eigentlich? Seit Jahrzehnten prägt der Autoverkehr die Stadt und hat unseren urbanen Raum dorthin gebracht, wo wir heute vielerorts sind: Zugeparkte Straßen ohne öffentliches Leben, trennende mehrspurige Stadt-Autobahnen durch das Zentrum, und kaum attraktiver Stadtraum. Das Auto ist fest in unseren städtischen Lebensraum eingedrungen! Da haben wir von Feinstaub, Schadstoffen und Lärm noch gar nicht gesprochen, auch nicht von überhöhter Geschwindigkeit, Gefährdung und Unfällen, und von der Tatsache, dass Kinder kaum mehr auf der Straße spielen können und in Elterntaxis umhergefahren werden. Stau und Parkplatznot prägen den Alltag in unserer Stadt, Falschparken ist alltäglich und scheint geduldet zu sein. Insgesamt ein Zustand, der für niemanden von uns zufriedenstellend sein kann. Wollen wir das wirklich weiter so haben?
Stets kommt der Ruf nach mehr Straßen und mehr Parkplätzen in der Stadt. Aber das Real-Experiment seit Mitte des letzten Jahrhunderts zeigt, dass das System offensichtlich nicht funktioniert. Denn mehr Straßen und mehr Parkraum ziehen mehr individuellen Autoverkehr nach sich – und schon kurze Zeit später sind wir wieder beim gleichen Problem, nur größer und noch schwieriger zu lösen. Inzwischen kommen wir auch allein flächenmäßig an eine Grenze oder haben diese bereits überschritten. Wir dürfen also nicht rückständig in der Verkehrspolitik von damals verharren! Auch wenn es beim Rosenstein-Tunnel noch so praktiziert wird, ist das Abreißen von ganzen Häuserzeilen und Rodung des wenigen Grüns für weitere Straßen und Parkplätze in der Stadt keine Option, auch nicht das Verbieten von Mobilität. Das Priorisieren geeigneter Mobilitätsformen ist hingegen sehr wohl eine Lösung für unsere dicht besiedelten Städte.
Der fahrende und ruhende Autoverkehr ist vom Platzbedarf her extrem ineffizient, zumal Autos sowohl am Startort als auch am Zielort Parkflächen benötigen und einen Großteil der Zeit herumstehen. Der prozentuale Anteil der jeweiligen Mobilitätsformen am Flächenverbrauch ist natürlich lokal unterschiedlich und muss abhängig von der jeweiligen Situation gemessen und bewertet werden, doch wer durch die Stadt geht, bemerkt schnell die offensichtliche Dominanz der Autoverkehrsflächen, für die sich der Begriff „Arrogance of Space“ geprägt hat. Wir brauchen also den Ausbau flächenmäßig effizienterer Verkehrsmittel in der Stadt! Zum einen um den zusätzlichen Verkehr in den wachsenden, aber platzmäßig begrenzten Städten zu ermöglichen, zum anderen um den Raum in den Städten für andere, schönere Dinge als für Parkplätze und Autostraßen zu nutzen. Das heißt es müssen weniger Autos in der Stadt werden – Punkt. Anders lässt sich das Problem in unseren Städten nicht lösen. Weder der Besitz noch die Nutzung von Autos werden generell angezweifelt, aber deren Anteil an der Mobilität wird sich ändern müssen.
Wir wollen mobil bleiben, also müssen verstärkt Alternativen her und weitere attraktive Angebote gemacht werden. Dabei muss noch deutlicher nach zukünftigem Bedarf geplant und gebaut werden und nicht nach Ist-Zustand. Natürlich gibt es z.B. auf einer Stadtautobahn keinen Radverkehr und es fahren auch nicht überall Straßenbahnen, aber das heißt nicht, dass es auf diesen Strecke nicht diese Mobilitätsform geben würde, wenn sie denn ermöglicht wäre. Angebot schafft Nachfrage! Wenn man z.B. gute Radstrecken anbietet, fahren die Leute Rad. Bietet man nur Autostraßen an, letztlich übrigens ziemlich undemokratisch, dann müssen die Leute Auto fahren – und wie das endet sehen wir ja täglich in Stuttgart.
Was sind also konkret die Alternativen? Das ist zum einen der öffentliche Nahverkehr: Er muss räumlich, zeitlich und kostenseitig attraktiver werden und an andere Mobilitätsformen gut angebunden sein, z.B. an den Fernverkehr und mit Park-and-Ride-Plätzen. Zum anderen ist es der Radverkehr: Dieser hat als individuelle Mobilitätsform in der Stadt großes Potential, nachgewiesen in langjähriger Erfahrung in entsprechend ausgestatteten Städten weltweit. Praktisch, schnell und platzeffizient ist das Fahrrad ein ideales Transportmittel in der Stadt, dank E-Bike auch am Berg und bei größeren Lasten, hat wenig Parkplatzsorgen und ist zudem sicher. Radverkehr ist eine hervorragende Lösung, sofern die Infrastruktur passt – und genau daran fehlt es in Stuttgart. In gewissem Umfang lässt sich auch der Fußverkehr wieder stärken, der durch die Übermacht des Autoverkehrs an den Rand und in den Untergrund gedrängt wurde.
Zusätzlichen Platz für die Infrastruktur haben wir nicht, Bäume und Häuser wollen wir dafür nicht verlieren, auch nicht die Gehwege. Also muss bisher für Autos genutzter Platz dafür umgewidmet werden. Wenn man sieht, welche enormen Flächen dem Autoverkehr in der Stadt zugestanden werden, z.B. für mehrspurige Straßen, riesige Kreuzungen und umfangreiche Parkplätze, so erscheint eine neue Flächenverteilung längst überfällig. Autoverkehr ist kein Naturgesetz, allenfalls eine Folge des inzwischen veralteten Mobilitätsverständnisses und des Verkehrssystems! Klar, der Autoverkehr braucht diese großen Flächen. Weil er so platzineffizient ist. Aber dann ist das Auto ein unpassendes Verkehrsmittel für eine enge Innenstadt, ganz einfach.
Das heißt übrigens nicht, dass der Autoverkehr in der Stadt gänzlich abgeschafft wird. Er muss aber dort hinterfragt und in der Menge angepasst werden, wo seine Nachteile überwiegen, und wo Alternativen die bessere Lösung sind. Das steht auch nicht im Widerspruch dazu, dass das individuelle Kraftfahrzeug anderswo sehr wohl eine sinnvolle und kaum vermeidliche Mobilitätsform ist. Also keine Panik!
Doch es geht um mehr als um Mobilität, es geht auch um Lebensqualität und die Gesellschaft in der Stadt! Dort wollen wir nicht leblose Straßenzüge, die in erster Linie aus Parkplätzen und Fahrbahn bestehen, sondern attraktiven öffentlichen Raum, den alle Gesellschaftsschichten nutzen. Zum Beispiel kleine Läden zum Einkaufen, Cafés und Restaurants mit Außengastronomie, Alleen, Straßenbäume, Parks und Spielplätze, schöne Gebäude, Brunnen und Wasserflächen, attraktive Viertel und Plätze zum Flanieren, Verweilen, Ausgehen und Leute treffen, Orte für Kunst und Kultur – eben all das, was eine Stadt und das Leben dort ausmacht. Im Übrigen genau das was wir im Urlaub suchen, wenn wir eine Städtereise unternehmen, und was auch Touristen an Stuttgart schätzen würden, über die bestehenden Sehenswürdigkeiten hinaus. Für all das lohnt es sich, Flächen des Autoverkehrs und Parkplätze für Privateigentum in besser genutzten öffentlichen Raum für uns alle zu wandeln!
Alle Bilder sind in Stuttgart aufgenommen, sowohl die Ansichten, auf denen der Autoverkehr dominiert, als auch die Ansichten, auf denen öffentlicher Raum für anderes als für Parkplätze und Autostraßen genutzt wird. Die Positiv-Beispiele zeigen, was in Stuttgart schon möglich ist, und wie man die Stadt attraktiver gestalten kann.
Spätestens jetzt kommen die provokanten Fragen und streitbaren Argumente zum Thema, die sich aber schnell einordnen lassen:
- Wo sollen denn all die Leute dann parken, wenn man Parkplätze entfernt und z.B. durch Radwege oder Bäume ersetzt?
Solange es keine guten und sicheren Alternativen für den Umstieg auf den Umweltverbund gibt, also öffentlichen Nahverkehr, Radverkehr und Fußverkehr, wird sich an der Situation nichts ändern. Also muss man diese Alternativen schaffen. Nach einer Übergangsphase pendelt sich das System dann ein: Durch die besseren Alternativen bei ÖPNV und insbesondere bei der Fahrrad-Infrastruktur werden durch das neue Angebot mehr Leute die Möglichkeiten nutzen. Unterstützt durch Sharing-Konzepte von Fahrrad und Auto wird dadurch der individuelle Autoverkehr weniger und somit nehmen die benötigten Parkflächen ab. Hier muss die Politik und Verwaltung mutig und langfristig denkend agieren, sonst ändert sich nichts! Da sind oft größere Umwandlungen aus einem Guss sinnvoller als kleine lokale Schritte, die durch ihre Unvollständigkeit nur zu Konflikten führen. Dass Umwidmungen erfolgen müssen, steht außer Zweifel. Immer wieder um jeden Parkplatz zu diskutieren lähmt nur die Weiterentwicklung der Stadt und deren Zukunft und verschiebt die Probleme. Manchmal geht es nicht ohne Nachdruck, z.B. mit verstärktem Parkraum-Management. Parkhäuser gibt es in Stuttgart schließlich genug rings um den Cityring und darüber hinaus, doch sie sind kaum ausgelastet, wenn Parken im öffentlichen Raum und selbst Falschparken günstiger ist. Es gibt auch keinen Grund dafür, speziell den Autoverkehr im öffentlichen Raum zu bevorzugen. Man kann hier gut die Gegenfrage stellen: Wo sollen denn all die Leute gehen, radfahren und sich draußen aufhalten, wenn die wenigen Freiflächen entfernt und z.B. durch Parkplätze und Straßen ersetzt wurden? Eine beträchtliche Bevölkerungsgruppe ist nämlich nicht mit dem Auto in der Stadt unterwegs.
- Aber das macht den Einzelhandel kaputt, wenn man nicht mehr überall hinfahren und parken kann!
Dieses Argument kommt oft als nächstes, aber bestehen die Probleme des Einzelhandels nicht bereits jetzt schon, in der Autostadt Stuttgart? Shopping Malls mit großen Parkplätzen auf der grünen Wiese und Onlinehandel, gleichzeitig verödende Innenstädte und die immer gleichen Handelsketten in den Fußgängerzonen – das sind die realen Probleme. Ein Wandel in der Stadt ist also ganz im Gegenteil eine Chance für den Einzelhandel dort. Attraktive Straßen mit wenig oder gar keinem Autoverkehr locken die Leute zum Bummeln an, kombiniert mit Gastronomie und Veranstaltungen. Reales, individuelles und authentisches städtisches Leben mit Läden und Märkten, anstatt Kunstwelten in Shopping Malls. Das Einkaufserlebnis wird ein ganz anderes werden als in Straßen mit einem Wall aus Blech auf beiden Seiten und ständigem Parkplatz-Suchverkehr. Letztlich kaufen die Menschen und nicht die Autos ein, und auf einem Autoparkplatz können zehn Radfahrende ihre Fahrräder und Lastenräder abstellen oder es passt ein gut gefüllter Tisch einer Außengastronomie darauf. Beides wird mehr Umsatz bringen als ein Autoparkplatz, auf dem vielleicht sogar ein Dauerparker steht, der ganz woanders einkauft. Viele Statistiken erweisen, dass der Einzelhandelsumsatz überwiegend von den Nicht-Autofahrenden kommt. Während den Parkhausbesuchern gerne einmal das Parkticket erstattet wird, gehen Kunden, die mit dem ÖPNV, per Fahrrad oder zu Fuß einkaufen, meistens leer aus. Gleichzeitig bringen wir durch diesen Wandel wieder kleinere Strukturen in die Städte, die es auch erlauben, zu Fuß im direkten Umfeld Ziele zu erreichen und nicht auf das Auto angewiesen zu sein, um in ein Shopping Center fahren zu müssen. Mit einer Stärkung des Fußverkehrs und lokalen Strukturen kommt man dann auch zu dem, was man eine 15-Minuten-Stadt nennt, bei der man in einer Viertelstunde alle wichtigen Orte für Besorgungen und Erledigungen erreichen kann – zu Fuß. Für eine lebenswerte Stadt und nicht zuletzt für die Klimawende müssen wir diesen Weg gehen.
- Aber viele sind auf das Auto angewiesen, was machen die?
Diese Fälle und entsprechende Mobilitäts-Szenarien gibt es und sie sollten auch möglich sein, jedoch sind sie kein Grund, nichts für diejenigen zu tun, bei denen es nicht der Fall ist. Schaut man in erster Linie durch die Windschutzscheibe eines Autos, so hält man dieses für unverzichtbar und sieht nicht die Möglichkeiten, die andere Mobilitätsformen bieten. Sei es die Individualität, Flexibilität und Leichtigkeit, wenn man mit dem Fahrrad unterwegs ist, oder die Freiheit beim ÖPNV, bei dem man kein Fahrzeug als “Klotz am Bein” hat und damit irgendwo parken muss. Selbst für Transporte gibt es heute mit Lastenrädern gute Alternativen. Natürlich gibt es auch Leute und Branchen, die tatsächlich vom Auto abhängig sind, doch für sie findet man auch Lösungen, z.B. mit Anlieger-Regelungen, Lieferzonen oder Behindertenparkplätzen, aber das darf kein Ausschlusskriterium sein, etwas in der Stadt zu ändern. Weniger Stau und Autoverkehr nützt übrigens denjenigen, die wirklich auf das Auto angewiesen sind, von daher müssten Autofahrende sogar Radwege fordern statt ablehnen.
Auch bei dieser Frage hier kann man wieder die Gegenfrage stellen: Was ist mit denjenigen, die kein Auto fahren können und mobil sein wollen, z.B. Jugendliche bis 18 Jahre oder der wachsende Anteil an Seniorinnen und Senioren? Sie sind auf Alternativen zum Autoverkehr angewiesen.
- Wir sind eine Autostadt und machen unsere Automobilindustrie kaputt, wenn wir den Platz für Autos in der Stadt reduzieren!
Die Automobilindustrie wäre arm dran, wenn sie davon abhängig wäre, ob wir unsere Innenstädte mit Autos vollstellen oder nicht. Autos haben woanders ein geeignetes Anwendungsfeld, nicht wenn sie in engen Städten im Stau stehen. Ganz im Gegenteil: Wenn wir die Städte vom Übermaß an Autoverkehr befreien, gewinnt das Automobil wieder ein besseres Image zurück, nämlich das der Freiheit und des entspannten Fahrens und nicht des täglichen Staus und des Kampfes um Parkplätze in vollen Städten. Da macht es übrigens keinen Unterschied, ob es Elektroautos oder Autos mit Verbrennungsmotor sind – das Platzproblem haben beide. Durch attraktive Innenstädte gewinnen wir neben Lebensqualität übrigens auch zahlreiche Jobs vor Ort zurück, z.B. in Handel und Gastronomie, aber auch im Nahverkehr. Nicht zuletzt lockt eine attraktive Stadt mit einem positiven Image auch wieder mehr Leute und Unternehmen an, was bei Feinstaub, Stau und zugeparkten Stadtvierteln nicht der Fall ist. Es geht übrigens nicht darum, das Automobil an sich abzuschaffen. Es hat im richtigen Anwendungsfeld zweifellos seine Vorteile und seine Berechtigung, gerade dann wenn Fahrrad, ÖPNV und Bahn zeitlich, örtlich und kapazitiv an ihre Grenzen kommen. In der engen Stadt jedoch gibt es bessere Optionen als das Auto, und das erkennt auch die Automobilindustrie. Es müssen zusammen konstruktive Lösungen gefunden werden, losgelöst von Egoismus und Dagegen-Mentalität. Diese Lösung wird ein cleverer Mobilitätsmix sein, für den es entsprechende Infrastruktur benötigt und bei dem die jeweils geeignete Mobilitätsform Vorrang hat. So wie es Autobahnen ohne Fuß- und Radverkehr gibt, wird es auch Innenstädte ohne Autoverkehr geben – wir müssen hier die gesamte Bandbreite im Blick haben.
- Wer Ruhe und Natur haben will, soll doch auf’s Land ziehen!
Wer die Stadt als großen Parkplatz sieht, der nicht für städtisches Leben und etwas Natur angetastet werden darf, hat vermutlich das Prinzip einer Stadt und deren Gesellschaft falsch verstanden. Wer zwingend vor dem Haus parken will und Platz zum Autofahren braucht, ist vermutlich auf dem Land oder in einer entlegenen Vorstadt besser aufgehoben. Viele Parkplätze im knappen öffentlichen Raum einer flächenmäßig teuren Stadt zu verlangen, evtl. sogar kostenlos, ist nicht mehr zeitgemäß und schon gar nicht marktgerecht. Parken in der Stadt ist nicht ausgeschlossen, aber eben nicht fast ausschließlich.
- Die Autofahrer bezahlen doch mit ihren Steuern die Straßen und nicht die Radfahrer!
Steuern sind nicht zweckgebunden, und auch Radfahrende und sogar Leute, die zu Fuß gehen, zahlen Steuern, von denen u.a. Straßen gebaut werden. Dafür reichen die Mittel aus Kraftfahrzeug- und Kraftstoffsteuer bei weitem nicht aus, zumal daraus auch Ausgleichsmaßnahmen finanziert werden müssen, die ohne den vielen Autoverkehr gar nicht auftreten würden. Somit gibt es keinerlei Grund, gegen steuersubventionierten öffentlichen Nahverkehr zu argumentieren und schon gar nicht gegen den Radverkehr, der durch seinen gesundheitlichen Nutzen sogar der Gesellschaft hilft.
Wichtig ist, dass die Politik und insbesondere auch die Verwaltungen die Verkehrswende jetzt schnell vorantreiben und diejenigen unterstützen, die dazu beitragen möchten. Letztlich ist es aber nicht nur ein Thema der Politik und Verwaltung, sondern hier sind wir alle gefragt, persönlich! Dazu gehört das Überdenken der eigenen Bewegungsmuster, das Ausbrechen aus eingefahrenem Mobilitätsverhalten und die Nutzung alternative Fortbewegungsarten. Es sind nicht immer nur die anderen, die auf das tonnenschwere Fahrzeug für kurze Strecken in der Stadt verzichten müssten oder die endlich mal Bus und Bahn oder das Fahrrad nutzen sollten und viel öfter zu Fuß gehen könnten. Jeder von uns kann andere Mobilitätsformen nutzen und deren Vorteile schätzen lernen! Ganz nebenbei lernt man so auch die Stadt neu kennen, sei es beim Blick aus Bus und Bahn oder beim Erkunden von Stadtvierteln mit dem Rad oder zu Fuß. Dabei muss es nicht der hundertprozentige Wandel sein, oft reichen schon Anteile und das Kombinieren der Verkehrsmittel aus. Es gibt unterschiedlichste Mobilitäts-Szenarien, stets sehr individuell, und von daher ist eine Pauschal-Empfehlung nicht möglich. Es hilft aber, sich bei Mitmenschen zu informieren, die vielleicht schon das Fahrrad, den ÖPNV oder das Carsharing für sich entdeckt haben, und aus diesen Beispielen zu lernen. Ebenso kann man eine Mobilitätsberatung befragen oder ganz einfach selbst ausprobieren, welche anderen Mobilitätsformen es gibt. Durch den veränderten Blickwinkel und das Kennenlernen der Mobilitätsformen steigt auch das Verständnis für die Mitmenschen, die die jeweils andere Mobilitätsform nutzen. Das führt zu mehr Respekt und Rücksicht – beides längst überfällig in einer Stadtgesellschaft, in der gleich laut auf die Hupe gedrückt oder geschrien wird.
Den Ausbau der Alternativen zum Autoverkehr sollte jeder von uns einfordern, und die Politik muss sich daran messen lassen. Mit einer Verkehrswende in Stuttgart gewinnen wir alle, mit verbesserter Mobilität und mit einer lebenswerteren Stadt.
Das Thema Handel und Gewerbe muss von der Politik auch weitergehend betrachtet werden: Werden in der Innenstadt Einkaufszentren genehmigt oder fischen Shopping Malls mit kostenlosen Parkplätzen schon in den Außenbezirken die Kunden ab, dann haben es innerstädtische Handel- und Gewerbetreibende erst recht schwer. Somit ist es nicht nur ein Mobilitätsthema, sondern ein Thema des vorausschauenden und verantwortungsbewussten Städtebaus. Dabei bleibt noch die Frage offen, wie man gegen die Bequemlichkeit eines gestärkten Online-Handels ankommen kann. Attraktive Einkaufsgegenden mit reduziertem Autoverkehr sind ein international bewährtes Mittel, ebenso das Anbieten eines besseren und praktischeren Einkauferlebnisses als vor dem heimischen Bildschirm.
Nun müssen also die Schritte für eine Verkehrswende in Stuttgart und ähnlichen Städten möglichst rasch erfolgen. Das ist die verstärkte Schaffung von Alternativen zum individuellen Automobilverkehr: Ein Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, Park-and-Ride-Angebote und insbesondere der schnelle Ausbau von sicherer und bequemer Fahrrad-Infrastruktur, und zwar richtig und nicht als Stückwerk. Hierfür müssen Autoflächen umgewandelt werden, was schnell geht und sich in Summe als Gewinn für alle herausstellen wird.
Vorbilder gibt es national und international genug, man muss eigentlich nur kopieren und braucht gar nichts neu zu erfinden. Von Bereichen für den Fußverkehr und geschützten Radstreifen über Spielstraßen und Fahrradstraßen bis hin zu Superblocks und generellem Tempo 30 ist vieles möglich und erhöht sowohl die Sicherheit vor den Gefahren des Autoverkehrs, als auch die Qualität unseres Lebensraums. Eine Mobilitätsform sollte übrigens nicht Ausdruck einer politischen oder gesellschaftlichen Position sein oder als solche wahrgenommen werden, sondern es geht letztlich darum, welches Verkehrsmittel jeweils geeignet ist, individuell und gemeinschaftlich gesehen.
Hilfreich ist ein Blick auf andere Städte, die die Verkehrswende schon lange angegangen sind: Amsterdam und Kopenhagen, übliche Beispiele für einen hohen Radverkehrs-Anteil, waren früher autozentrierte Städte und haben den Wandel zu einer attraktiven Stadt mit vielfältiger Mobilität geschafft, ebenso Utrecht. Auch Brüssel, Paris, Oslo, Vancouver und Wien gehen hier in die richtige Richtung. In Ulm hat man schon vor vielen Jahren das Problem erkannt und eine trennende Stadtautobahn durch die „Neue Mitte“ ersetzt, die nun zwei Stadtviertel verbindet.
Das Thema ist so essentiell für die Stadt und deren Zukunft, dass jegliche partei- und lobbypolitischen Spielchen unterlassen werden müssen und alle an dem gemeinsamen Ziel einer multimodalen und einer lebenswerten Stadt arbeiten müssen. Also einer Stadt, bei der nicht nur das Auto, sondern die Kombination der Verkehrsmittel im Fokus steht, und diejenigen Verkehrsmittel besonders gefördert werden, welche für den engen urbanen Raum ideal sind. In diesem Zug muss auch die Stadt an sich lebenswerter und attraktiver gestaltet werden, um im nationalen und internationalen Wettbewerb bestehen zu können.
(Die farbig hinterlegten Verknüpfungen im Text führen zu weitergehenden Informationen und Quellen.)